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An Franck W., 21. Januar 2013, Makkalondim, Niger

Lieber Franck! Gestern und vorgestern waren Moussa und ich in Niamey. Wir haben unter anderem auch  einen ersten Anlauf in Richtung Visum unternommen. Es war eine Katastrophe.

Zuerst die Dame, die bei der Schweizer Kooperation  für konsularische Angelegenheiten zuständig ist. Eine effiziente, vermutlich sehr proper angezogene Welschschweizerin. Sie empfänggt uns im Flur. Sie nimmt Noussa mit einem Kopfnicken zur Kenntnis. Seine ausgestreckte hand übersieht sie. Dann spricht sie mit mir. Ich frage  zuerst, ob wir vielleicht in ein Büro gehen könnten. Sie reagiert nicht. Also dann halt hier im Flur und im Stehen.

Ich sage ihr zuerst, dass ich seit einem Monat im land sei und mich wegen der angespannten Lage in Mali bei ihnen melden wolle. Sie ist sehr froh, notiert meine Telefonnummer und meine E-Mail-Adresse, und fragt ob ich vor habe im Land zu reisen. Ich sage: vielleicht ein bisschen, doch nichts gefährliches. Sie sagt, es sei alles gefährlich; ich solle so wenig wie möglich herumreisen. Dann drückt sie Moussa ihre Karte in die hand mit einer Telefoonnummer, im Fall der Fälle. Sie hat nicht danach gefragt, was ich im Niger tue, ob ich schon mal hier war, wie gut und von wo ich Moussa kenne ... Sie hat auch nicht mit ihm gesprochen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was für ein mensch er ist. Kein Kontakt; kein Interesse. Es ist einfach gefährlich. Roll dich ein igel und beweg' dich nicht!

In Sachen Visum verwies uns die Dame an die spanische Botschaft. Seit einiger Zeit laufen alle in Niamey eingereichten Visumsanträge für den Schengenraum über Spanien. Ich bitte sie, Moussa zu erklären, wo sich diese Botschaft befindet. Sie erklärt es ihm. Sie spricht schnell, zu schnell. Ich frage Moussa, ob er wirklich verstanden habe. Er sagt, "ja, alles, ganz genau". Draussen stelle ich fest, dass er überhaupt nichts verstanden hat. Es ist ihm etwas peinlich. Schliesslich sagt er, dass er sich von der Frau so überrollt und eingeschüchtert gefühlt habe, dass er gar nicht zuhören konnte. Sie war nicht unfreundlich zu ihm - sie hat ihn einfach ignoriert - den Boy, der da mit dem Weissen unterwegs ist.

nach einer Dreiviertelstunde geduldigen Herumfragens haben wir die spanische Botschaft gefunden und stehen bald danach vor einem Schalter. Eine spanische Angestellte fragt Moussa, wer sein Arbeitgeber sei. Moussa versteht zuerst nicht ...  Dann erklärt er, dass er arbeite - als Maurer manchmal, wenn er Arbeit findet, oder mit dem Esel und dem Wagen, wenn es Wasser oder Sand oder Lehmsteine zu transportieren gäbe oder als Händler, wenn er irgendwo etwas kaufen und verkaufen könne. Die Dame fragt, ob er Steuern bezahle. Moussa sagt ja. Er sei also Händler. Moussa sagt ja, auch Händler. ob er eine Lizenz habe. Eine Lizenz? Ja, eine Lizenz. Moussa sagt "nein". Die Dame schüttelt den Kopf. "Ja, dann wird das nichts. Dann können sie's vergessen. Sie können natürlich den Antrag   stellen, aber  er wird abgewiesen werden. Vous n'avez pas d'argent. alors on va vous  refuser." Ich sage, ich würde für ihn bürgen, würde ihn einladen, würde auch für die Kosten aufkommen. "Das interessiert uns nicht. Er wird kein Visum bekommen". "Aber ich lade ihn doch ein." "Das spielt keine Rolle. Es kann einladen wer will. Das interessiert nicht." "Ich kenne den menschen seid zwei Jahren, ich kenne seine Familie, ich bin in diesem Jahr drei Monate bei ihnen gewesen. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Es geht wirklich um einen familiären Besuch ...". "Das interessiert alles nicht. Sie können für ihn nicht garantieren. Er hat kein Geld. Sie können es, wie gesagt, versuchen, doch es ist so gut wie sicher, dass der Antrag abgelehnt wird." ich habe noch ein oder  zwei Anläufe genommen, habe gesagt, dass man doch nicht alle armen menschen einfach so ausgrenzen könne, dass doch auch arme menschen das Recht hätten, zu reisen ... irgendwie war das der Frau zuviel. Sie schob uns das Formular rüber und sagte, "ich bin an dieser Diskussion nicht interessiert. Hier ist das Formular. probieren Sie wenn sie wollen. Bonne Journée - und rums, der Schalter war zu.

Lieber Franck. Du kennst mich. Ich bin kein guter Diplomat, der mit Pokerface ruhig zuhört und kluge Fragen stellt. Ich sass nur noch auf meinem Stuhl und wollte nicht gehen. Moussa hat versucht, mich zu beruhigen. Doch wie kann ich mich beruhigen! Schliesslich sind wir gegangen. Wir haben uns draussen irgendwo hingesetzt. Moussa hat mich gebeten, nicht zu weinen. Es sei alles nicht so schlimm. Es gibt für ihn nichts schwereres als wenn jemand, der ihm nahe ist, weint. Dass ich traurig bin ist seine erste und einzige Sorge und auch seine Frau Aisha sagte am Abend, ich solle nicht traurig sein! Sie schlucken den Frust hinunter. Moussa sagt, weisst du. Es passiert uns immer wieder. Man behandelt uns so  - wie Dreck. Wir sind arm, und man hat uns beigebracht, alles hinzunehmen.

Ein oder zwei Tage vorher hatten wir eine Diskussion über korrupte Vorgänge hier im Dorf. Moussa hat zum ersten mal viel erzählt und seinem Herzen Luft gemacht. Dabei sagte er auch, weisst du, im Koran heisst es, man soll nicht schlecht von andern sprechen, deshalb verschliessen wir unsere herzen, deshalb und weil wir Angst davor haben, uns mit der Polizei oder dem Dorfchef oder irgend einem Reichen anzulegen. Sie betrügen und chikanieren uns. Das ist normal und natürlich tut es weh. Wir sind ja nicht dumm. Wir sehen es. Aber wenige trauen sich, zu reden. Wenn ich nur schreiben und lesen könnte, dann könnte ich mich wehren. Wenn ich eine Schule absolviert hätte und mehr wüsste ... Ich habe ihm gesagt, dass die Sache mit dem Lesen und Schreiben für ihn sicher schmerzlicch ist, dass es aber letztlich nicht darauf ankommt, wenn es darum geht, sich gegen eine Ungerechtigkeit zu wehren. Er ist einverstanden, aber so klar er die Dinge sieht und so viel Empörung in ihm ist, so ist er doch noch immer ein frommer Muslim und ein gut trainierter Armer - ein "Enfant", das keine Schule gemacht hat. Dass er überhaupt seinen Mund auftut ist ein Wunder!

Eine Stunde nach dem Crash in der spanischen Botschaft sassen wir auf der Strasse, wo die Fahrzeuge nach Makalundi abfahren, und haben gegessen. Um uns herum vier oder fünf junge Männer, alles mehr oder weniger gute Bekkannte von Moussa. Sie fragten, weshalb ich heute nicht lache. Sie waren bedrückt, weil ich bedrückt war. Ich habe versucht, zu erklären. Moussa hat übersetzt. Einer der vier hat gesagt: "Es stimmt. Uns sperrt man aus wie Hunde, wie wenn wir alles Verbrecher wären, und wir wheren uns nicht. wir sollten die Grenzen für die Weissen zutun. Einfach keine Visen mehr für Weisse ...". Die anderen sagen nichts, doch sie wollen, dass ich esse und lache wie vor ein paar Tagen als wir an der selben Strasse auf unseren Minibus  nach Makalundi gewartet haben.

Jetzt sitze ich wieder im Hof. Die anderen Essen. Ich versuche einigermassen heiter zu sein. Doch in mir ist's immer noch ganz düster. Natürlich werden wir weiter probieren. Leicht ist es offenbar nicht. ich weiss nicht, welches der strategisch beste Versuch ist: Einen Visumsantrag einzureichen, ihn ablehnen zu lassen und dann zu rekurieren. Doch kann man das überhaupt? Der Visumsantrag von Vicky vor fünf Jahren wurde zuerst auch abgelehnt. Erst mein Rekurs hat gewirkt. Doch damals hatten die Schweizer noch ihre eigenen Visumsbestimmungen, und ich konnte mit Bern telefonieren. man kannte den Fall und nahm ihn als Einzelfall ernst. Jetzt ist die EU zuständig. Die Verfahren haben sich geändert, und die Bürokratie ist grösser und anonymer geworden. Man weiss nicht, dass ich am Radio und in Zeitungen öffentlich von Menschen wie Moussa spreche. Das Herz der Schweiz war irgendwie noch erreichbar, aber das "Herz von Europa"?

Es gehen mir viele Gedanken durch den Kopf, viele Möglichkeiten zu reagieren - kluge und weniger kluge. Wenn ich meinem Herzen folgen würde, so werde ich sehr stur und raddikal. Man soll den Einzelfall prüfen. Ein qualifiziertes "niet" kann ich verstehen und akzeptieren. Aber 80% der menschen einfach so auszugrenzen ohne überhaupt hinzuschauen worum es geht, das ist für mich inakzeptabel. Mit dieser Mentalität will ich keinen Frieden schliessen, und dieses Problem bleibt, selbst wenn Moussa und ich durch klügeres Reden und agieren für uns zwei ein Schlupfloch finden!

Lieber Franck. Danke einmal mehr fürs geduldige  zuhören. Der Aku meines Netbooks ist beinahe leer. Ich versuche, ob die Energie noch reicht, dieses Mail auf die Reise zu schicken. - Take care, baby! And thanks for bearing with me! – Martin