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An Johanna M., 15. Oktober 1999, Hölstein, Basel-Land

O Hanna! So eine Bruchlandung! Ich habe Dein Mail erst heute Vormittag gelesen, da ich wegen Umzug in den unteren Stock für zwei Tage emaillos war. - Jetzt sitze ich in einem fast ZU WARMEN Zimmer - diese Ölheizung kennt offenbar nur eine Temperaturstufe! - und denke ein wenig an Dich dort drunten - soooo weit fort von uns!

Dass Du schon nach zwei Tagen wieder gegangen bist hat mich erstaunt. Da muss der Empfang ja mehr als nur unterkühlt gewesen sein! Was ist denn sonst noch passiert? Denkst Du, dass die Sache nicht noch ein wenig Zeit gebraucht hätte? Ich habe von mir jedenfalls den Eindruck, dass ich manchmal gerade in solchen menschlich-zwischenmenschlichen Dingen zu schnell den Mut verliere und weggehe, statt einfach noch ein wenig zu bleiben. Aber bei Dir ist's ja vielleicht anders! Nun,  Du könntest ja nochmal nach Tamera zurück, wenn Du plötzlich denkst, den Ort doch noch etwas mehr kennenlernen zu wollen. Ansonsten aber Schade! Wirklich Schade! Aber vielleicht kommst Du halt einfach nicht um Deine griechische Insel- oder türkische Küstenpension herum!

Und jetzt kutschierst Du also durch Portugal! Ob Du dieses Mail überhaupt kriegst? - Hier  ging's die ganze Woche fleissig voran mit dem "Neuanfang": Ulrike hat ihr Zimmer (über den Werkstätten) gestrichen; wir (Chuen und ich) haben hie und da ein wenig geholfen. Ich bin vorgestern in Simones Zimmer umgezogen und Chuen ist wieder in sein Gemach zurückgekehrt. Julia erweist sich immer wieder als Glücksfall, als sehr angenehme, kompetente Wohnpartnerin! An einem Abend - wohl dem Abend an dem Du  in Tamera angekommen bist - hat sie für uns WG-Leute und ein paar Gäste gekocht. Sau gut! Danach gab's Musik: Life mit Julia und ihrer Freundin Barbaraq - folkig poppige Dinge mit zwei Geigen und zwei Stimmen. Danach einen Joint, an dem auch ich - seit 10 oder 12 Jahren wieder einmal -  ein wenig genippelt habe. Anschliessend genoss ich die Öffnung meiner Wahrnehmung (denn so was findet wirklich statt) zusammen mit Paul, meinem seltsamen Lover aus dem Internet. Also ein Abend wie es im Buche der Lebemänner und -frauen steht! Wirklich schön, nur dass ich bei Paul nichts von seiner Seele oder einem irgendwie kräftigen ICH spüre. Er war einfach nicht oder doch fast nicht da, so nah ich ihm körperlich auch war. Diese eigenartige Erfahrung von Entfernung geht mir noch immer nach. Er hat seither zweimal telefoniert, doch mir war nicht nach reden, jedenfalls nicht nach Small Talk, und für anderes - naja, dafür müssen wir uns vielleicht einfach wiedermal treffen! – Aber das Kiffen, das Kiffen hat's schon gebracht, vor allem weil ich dies Mal am folgenden Tag wieder ganz nüchtern und "einsatzfühig" war.

Arbeitsmässig habe ich in den letzten 10 Tagen u.a. an dem Zwischenbericht für den Nat. Fonds herumgebastelt, den diese auf Mitte Oktober von mir wollen. Eher eine Formsache, aber gemacht werden muss sie dennoch. Sonst rutscht aber die Arbeit wirklich immer weiter fort! Sollte sie zufällig bei Dir in Portugal durchrutschen, dann versuch sie doch zu fangen, denn - ich bin durch diesen Prozess des Wegdriftens doch einigermassen beunruhigt! Wie soll man da je ein Buch schreiben. Von allein wird das doch nix ...

Inzwischen ist der Bericht geschrieben und auch den finanziellen Teil hoffe ich bald in den Griff zu kriegen (dort geht's um Formulare  und um Buchhalterisches und das ist wirklich nicht meine Stärke!)! Unten spielte Julia und ihr Freund Marc irgendwelche Duette (Klavier und Geige), und ich - ich denke daran, wie gerne ich jetzt eine Zigarette rauchen und mich in den Armen irgendeines Mannes tummeln würde! Also immer daran denke ich! Ein Suchtmocken ... nur noch Fleisch und Sinne! - Mal sehen, ob ich den Dreh noch kriege und ob aus dem angefangenen Abend noch etwas wird! - Für heute leb wohl und sei herzlich gegrüsst! Ich hoffe, dass Du ungeachtet des happigen Anfangs viele schöne Erlebnisse und genussvolle Stunden hast dort unten bei den Oliven und den kahlen Bergen! - Meine etwas schlaffe Seele winkt Dir aus unruhigem Fleische freundschaftlich zu! Sie lässt Dir auch schöne Ferien wünschen und sagt: Do not dispair! Things will be all right! - Martin