An Klaus A, im Oktober 1991
Übers Wochenende war ich in Zürich an einem Seminar zum Thema "Behinderte zwischen Abfall und Avant-Garde". Interessant war's, doch alles in allem eher bedrückend. Viel Mutlosigkeit, wenig Perspektiven - individuell und allgemein, als Gruppierung. Viel Resignation und Pessimismus, finanzielle Sorgen und Ängste und das Gefühl nicht gebraucht und nicht gewollt zu sein. Zum Teil in schlichten Worten geäussert, zum Teil in wohlgedrechselter Rede vorgetragen ... Oje! Dabei ist ja Mut und Mutlosigkeit kein Thema, von dem nur behinderte Menschen betroffen sind, doch die Lebenssituationen können durch das, was wir Behinderung nennen, manchmal schon sehr belastet werden. - Mein eigener Mut kommt mir da manchmal schon als Übermut oder auch als Dummheit bzw. Blindheit vor -, Augen zu machen vor den Realitäten des Lebens ... - Immerhin, ich erlebe mich doch noch als einigermassen lebendig und mutig (d.h. auch neugierig und tatkräftig), habe auch oft das Gefühl, dass eigene Zuversicht verpflichtet. Ich habe diese innere Kraft ja nicht, weil ich sie auf Grund meines besonderen Wertes verdient hätte, sondern einfach auf Grund günstiger, hilfreicher Lebensumstände ... also, Zuversicht verpflichtet. - Im Übrigen stehe ich zwischen einem wachsenden Berg mit Geheeb-Blättern, zwischen Notizen zu irgendwelchen Artikeln und Zettelchen die mich erinnern wollen, dass ich noch diesem und jenem Menschen anrufen und dies und das organisieren sollte -, stehe zwischen all dem und versuche über den Rand der Aktualitätenhügelchen ein wenig hinaus und in die Zukunft zu gucken: was das wohl noch wird? Wo das hingeht mit mir?
Ich komme, wie gesagt, in ca. 4 Wochen zu euch, um noch einmal eine kleine Arbeitsrunde mit Margot zu haben. Bis dahin lebt Alle wohl! Ich wünsche euch friedliche Tage und Wochen mit reichlich Sonne! Ich umarme Dich, Klaus, und schicke Dir meine Grüsse!