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An Mishka S., Ende Mai 1990, Basel

Lieber Mishka! Ich hab dich während der vergangenen Woche mehrmals angerufen, hab dich aber nicht erreicht. Jetzt seist Du in der Toskana, so hat mir Frau ... (Münzen...?) gesagt. Da es recht schwer zu sein scheint, dich in nächster Zeit telefonisch zu erreichen, will ich dir halt kurz schriftlich darlegen, was ich von dir will.

Ich war im Sommer 1978 bei dir und Jody im 4-wöchigen Intensivprogramm in ZIST und schon vorher (im Frühjahr desselben Jahres in einer kürzeren Gruppe mit euch zweien). Vielleicht erinnerst Du Dich an mich, einen ziemlich schüchternen, blinden jungen Mann aus der Schweiz. Die Begegnung und die Arbeit mit Dir war mir damals sehr wichtig und hat mir ein gutes Stück weiter geholfen in Richtung mehr Selbstver­trauen, Lebensmut etc..

Ich habe immer wieder mal die Absicht gehabt, Kontakt mit Dir aufzunehmen, dies vor allem in Zeiten, wo ich das Gefühl hatte, wiedermal "Therapie" zu brauchen, hab's dann aber doch nicht gemacht, weil's mir plötzlich doch nicht so "wichtig" oder dringend schien und ich auch keine Adresse von dir hatte und und und.

Nachdem ich im März und April dieses Jahres wiedermal drei oder vier ganz heftige, mir selbst gut bekannte , ‚Abstürze' hatte, habe ich beschlossen, diesmal wirklich was für mich zu tun; diesen immer wiederkehrenden Erlebnissen völliger Mut- und Kraftlosigkeit, völliger Gleichgültigkeit und Leere will ich nicht mehr einfach so ausgeliefert sein ...

Etwas, was ich mir vorgenommen habe, ist eine Einzeltherapie. Ich war auch nach meiner Zeit in ZIST (ich hab auch im Sommer 1980 am Langzeitprogramm teilgenommen) in einigen Gruppen, vor allem einer länger dauernden Bioenergetik-gruppe, Einzeltherapie hatte ich jedoch noch nie (zwei oder drei Versuche habe ich abgebrochen, weil ich zu dem betreffenden Therapeuten keinen Draht gefunden habe).

Jetzt also habe ich mir vorgenommen, eine Möglichkeit für Einzeltherapie für mich ausfindig zu machen. Ich möchte mich u.a. gerne einmal ein wenig eingehender als bis jetzt mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen und will in dem Depressionsmuster wirklich noch ein Stück weiterlernen. Da Du mir innerlich noch immer sehr nahe bist würde ich sehr gerne mit dir arbeiten: es kann natürlich sein, dass ich jetzt, nach 12 Jahren, nicht mehr dasselbe gute Gefühl zu dir habe, wenn wir uns wiedersehen, doch würde ich das gerne ausprobieren bevor ich irgend einen anderen Therapeuten für mich zu finden versuche.

Falls Du prinzipiell auch mit einzelnen Menschen arbeitest und - sagen wir ab Sommer oder Herbst dieses Jahres - auch noch Zeit und Raum für jemanden Neuen übrig hast, müssen wir uns überlegen, in welcher Form wir evtl. miteinander arbeiten können. Dass ich in Basel wohne und Du in Bayern macht die Sache ja nicht gerade einfach und vielleicht wird das auch der Grund sein, dass wir's schliesslich doch nicht machen.

Was ich mir vorgestellt habe sieht so aus: Ich käme ca. einmal alle drei oder vier Wochen zu Dir, je nachdem, wie unsere Terminpläne etc. aussehen, und würde dann vielleicht einen ganzen Tag mit dir arbeiten: nicht von morgens bis abends non-stop, aber vielleicht zuerst mal zwei Stunden, dann ein paar Stunden, wo ich Zeit für mich habe (spazieren, meditieren, schreiben etc. könnte) und dann vielleicht nochmals eine oder zwei Stunden. - Dass ich häufiger als ca. alle drei Wochen einmal zu Dir rauf fahre scheint mir unrealistisch, denn ich bin zur Zeit in ziemlich viel gute und span­nende Arbeit verwickelt und will für diese (trotz innerer Nöte und Krisen) noch genügend Zeit übrig haben und die Fahrt von Basel nach München ist doch recht lang (letztlich wäre das natürlich auszuprobieren: vielleicht ist die Fahrerei ja ganz ange­nehm einzurichten: Nachtzug, viel Zeit zum Lesen ...). - Bezahlen könnte ich dir pro Monat ca. DM 300.-; wenn's viel mehr wird, wird's problematisch, weil ich als Privat­gelehrter und Buchautor und Redner in Sachen Erziehung etc. zur Zeit im Durch­schnitt nur ca. Fr. 1,400 pro Monat verdiene.

Wenn sich mein Vorschlag von der "technischen Seite" her lösen liesse und Du auch vor dem Jahr 2,000 Zeit hast, so bin ich mir immer noch nicht sicher, ob wir auf diese vielleicht etwas verzettelte Weise in eine wirklich intensive, kontinuierliche Arbeit, ich habe aber grundsätzlich Lust, es zu versuchen, wegen Dir und auch deshalb, weil ich mir vorstellen kann, dass ich in den Zeiten zwischen den intensiven Arbeitstagen ja nicht einfach untätig alles begonnene liegen lassen muss, sondern dass ich auch für mich an bestimmten Themen weiterar­beiten kann (schreiben, Träume erinnern, regelmässige Übungen, Veränderung meines Alltags ...). - Wenn wir eine praktikable Lösung finden würden, würde ich mich sehr freuen! Mein Vertrauen zu dir ist sehr gross!

Ich hoffe, dass du diesen Brief ziemlich bald erhältst. Ich wäre dann sehr froh, wenn du mir möglichst umgehend kurz antworten kannst (vielleicht auf einer Karte), ob du das Gefühl hast, die Sache könnte evtl. so gehen, wie ich sie mir vorstelle, oder ob du glaubst, es würde nicht gehen. - Wenn du meine Idee für nicht realistisch hältst, dann würde ich mich hier in Basel und Umgebung, evtl. auch Zürich etc. umsehen, wenn du denkst, es könnte gehen, dann würde ich warten, bis wir uns ausführlich (vermutlich am bestem am Telefon) besprechen können; ich möchte einfach nicht zu lange in der Luft hängen und warten, wenn du an sich schon von Anfang an denkst, es wird nicht gehen.

Lieber Mischka, ich umarme dich ganz fest: wenn's was wird, so freue ich mich! Ob's nun was wird oder nicht -, ich möchte Dir - wenn ich schon mal schreibe - bei dieser Gelegenheit wieder einmal für die Art und Weise danken, wie du mir damals begegnet bist und wie du mit mir gearbeitet hast! Ich schicke Dir viele gute Wünsche für Dich und die Menschen und alles um Dich! - Nun bin ich neugierig, was du mir zurück­schreibst oder am Telefon sagen wirst.