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Blind unterwegs. Reisen wie mit anderen Augen


Blindheit und selbständiges Reisen: Für den bald 60-jährigen Schweizer Martin Näf ist das kein Widerspruch. Im Gegenteil: Mit seinem Rucksack besucht er Länder, die als so gefährlich gelten, dass sie selbst viele Sehenden meiden. Mittlerweile hat er in der Sahelzone so etwas wie eine zweite Heimat gefunden. - Interview des Monats, Manuela Zeller 24. April 2013

Auf dem Weg von Goma nach Butembo in der demokratischen Republik Kongo, September 2011.

WRM: Martin Näf, wie müssen wir uns deinen Reisealltag vorstellen?

Martin Näf: Ich vermeide es, zu fliegen, ich will ja etwas wahrnehmen von dem Gebiet, das ich bereise. Das habe ich schon mit Indien und Pakistan so gehalten und als ich vor drei Jahren beschloss, eine längere Reise durch Afrika zu machen, war mir ebenfalls klar, dass ich nicht fliegen würde. Stattdessen war ich per Bahn, per Fähre und Bus unterwegs: von Basel über Barcelona und Tanger nach Mauretanien, Mali und Burkina Faso. An der Grenze zum Niger bin ich dann hängen geblieben. Eigentlich wollte ich über Land weiter bis in den Osten der Demokratischen Republik Kongo, wo ich einen Job als Volunteer an der kleinen, kurz zuvor gegründeten „Université Panafricaine de la Paix“ gefunden hatte. Die Idee war völlig hirnrissig, denn ich hatte viel zu wenig Zeit für eine solche Reise. So bin ich am Ende in Ouaga Dougou eben doch in ein Flugzeug gestiegen, um rechtzeitig im Kongo zu sein. Ist es denn nicht unglaublich schwierig, auf diese Art zu reisen? So wie ich reise, bin ich immer unter Menschen und da gibt es immer welche, die mir helfen. Das braucht natürlich manchmal etwas Geduld und auch Vertrauen, aber das sind Dinge, die ich geübt habe, denn ich bin ja auch sonst sehr oft auf Hilfe angewiesen. Es ist so gesehen kein besonders grosser Unterschied, ob ich in Zürich oder in Dehli oder sonst wo unterwegs bin. Schwierig wird es in menschenleeren Gegenden oder dann, wenn ich mich sprachlich nicht mehr verständigen kann. Es kommt im Übrigen auch vor, dass ich zwar alleine verreise, unterwegs dann aber Reisegefährten finde.

WRM: Was hast du eigentlich von diesen doch eher umständlichen Reisen? Zuhause wäre es doch auch schön?

Martin Näf: Was mich vor allem reizt, sind die Begegnungen mit Menschen und das Eintauchen in andere Welten. Ich finde es auch immer wieder fantastisch, dass es Orte gibt, die so grundlegend anders sind als die Schweiz. So habe ich im letzten Jahr beispielsweise die Grenze vom Senegal nach Mauretanien überquert. Diese wird vom Senegal-Fluss gebildet. Es gibt Boote, die einem hinüber bringen. Ich habe vor der Fahrt gefragt, ob es ein Motorboot sei, und man hatte das bestätigt. Tatsächlich war es ein Einbaum, ohne Motor, dafür mit Rudern. So überquerte ich die Grenze zu Mauretanien in einem echten Einbaum! ich sass im Boot und genoss das Plätschern des Wassers und das Pfeifen der Vögel! So was finde ich unglaublich romantisch und ich freue mich sehr, dass es solche Dinge noch gibt. Und hat sich die Reise in die Demokratische Republik Kongo dann so entwickelt, wie du dachtest? Oh, viel besser! Ich habe an der Grenze zum Niger einen jungen Mann kennengelernt, mit dem ich mich seither so angefreundet habe, dass ich mittlerweile zu seiner Familie gehöre und bereits zweimal für längere Zeit in seinem Dorf war. Und an der Uni im Kongo, wo ich ursprünglich Englisch und Psychologie unterrichten sollte, wurde ich nach sechs Wochen gefragt, ob ich nicht ihr Rektor werden wolle! Ich habe den Job wegen Unstimmigkeiten nach einem halben Jahr zwar wieder abgegeben, aber es war die spannendste und schönste Arbeit, die ich je hatte! Dass so etwas passieren würde, habe ich mir natürlich nicht vorgestellt, als ich zu dieser Reise aufbrach.

WRM: Eine Frage zum Schluss: Was würdest du Leuten mitgeben wollen, die nur mit dem Flugzeug reisen und sich streng an den Reiseführer halten?

Martin Näf: Diese Art des Reisens kann sehr schön und bereichernd sein. Aber mit dem Entdecken der realen Welt hat sie nicht sehr viel zu tun. Wir kommen ihr auf diese Weise nicht näher. Ja es kann sogar sein, dass wir uns so sehr an diese Art des Reisens gewöhnen, dass wir uns am Ende gar nicht mehr getrauen, anders unterwegs zu sein.

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