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Unerbittlich kritisch - John Taylor Gatto

Die moderne Schule ist kein Instrument der Emanzipation und war nie als solches gedacht. Diese These vertritt Gatto in seiner "Underground History of American Education" und über sie spricht er seit er sich 1991 aus dem New Yorker Schuldienst zurückgezogen hat.
Durch seine leidenschaftliche Kritik und sein profundes Wissen gehört John Taillor Gatto zu den provokativsten Querdenkern der heutigen Erziehungswissenschaft.


Mehrmals als bester Lehrer der Stadt bzw. des Staates New York ausgezeichnet, gab John Taylor Gatto den Schuldienst nach fast 30 Jahren 1991 auf und trat mit "Dumbing us down: the Hidden Curriculum of Compulsory Schooling" erstmals an eine breitere Öffentlichkeit. Seither veröffentlichte er als Herausgeber oder (Mit)-Autor eine Anzahl weiterer Bücher und zahlreiche Artikel, in denen er die Entwicklungsfeindlichkeit der modernen Schule anprangert und sich dafür einsetzt, dass wir Kindern und Jugendlichen wieder mehr Möglichkeiten geben, als vollwertige Glieder einer Gemeinschaft an deren Leben teilzunehmen, statt sie jahrelang vom eigentlichen Geschehen in der Gesellschaft fernzuhalten und in gefängnisartigen Lernghettos mit abstraktem Schulstoff zu langweilen.

Im Jahr 2000 erschien die erste Auflage von Gattos "Underground History of American Education" In dieser beinahe tausend Seiten umfassenden "intimen Untersuchung eines Schulmeisters über das Gefängnis der modernen Schule" zeigt Gatto an Hand zahlreicher Quellen, wie stark die moderne Schule in den USA entgegen dem allgemein verbreiteten Mythos ihrer emanzipatorischen Funktion von führenden Vertretern der Industrie und Politik seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganz bewusst als Mittel zur Domestizierung des Volkes gesehen und benützt wurde. Dass die staatliche (Zwangs)-Beschulung dazu dienen sollte, eine bisher mehrheitlich nicht alphabetisierte Bevölkerung zu alphabetisieren gehört für Gatto zu den Mythen, mit denen die teilweise sehr gewaltsame Einführung der modernen Schule begründet wurden. IN Wahrheit, so Gatto, konnte der Grossteil der Bevölkerung zur Zeit der Einführung der obligatorischen staatlichen Schule bereits lesen und schreiben.

Während Gatto bei HomeschoolerInnen und anderen pädagogischen Nonkonformisten mittlerweile beinahe so etwas wie Kultstatus hat, wird er von der etablierten Pädagogik nach wie vor kaum wahrgenommen. Im November 2006 enthielt der alle grossen Bibliotheken der Schweiz, Österreichs und Deutschlands umfassende Katalog der Karlsruher virtuellen Bibliothek für die genannten Länder beispielsweise gerade einmal 3 Titel von Gatto. Gattos teilweise nerviger polemischer Ton und seine im einzelnen manchmal zweifelhaften Zahlen oder seine unorthodoxe Zitierweise machen es den Vertretern der heutigen ErziehungswissenschaftlerInnen tatsächlich leicht, ihn als "unwissenschaftlich arbeitenden" Schreihals beiseite zu schieben. Letztlich ist das erstaunliche Desinteresse an Gattos Arbeit allerdings eher die bedauerliche Abwehrreaktion einer bequem gewordenen Disziplin, die dazu neigt, unangenehme Diskussionen zu ignorieren oder aufgrund kleinlicher Kritik zu disqualifizieren. Insbesondere seine "Underground History" hätte eine bessere Behandlung verdient!

Die Seite von Altruists International enthält diverse Aufnahmen von John Taylor Gatto, darunter ein dreiteiliges Telefoninterview mit Radio Free School / Radio4all vom Dezember 2004 und ein Interview mit einer australischen Radiostation, in denen John Taylor Gatto über seine Erfahrungen als Lehrer und über die Gründe sprach, die ihn im Laufe der Zeit zu einem immer unerbittlicheren Kritiker der modernen Massenschule gemacht haben. Gatto spricht englisch und holt manchmal weit aus, doch das zuhören lohnt sich!

Outing School Teil 1, Radio Free School 15. Dezember 2004
Outing School Teil 2, Radio Free School 22. Dezember 2004
Outing School Teil 3, Radio Free School 29. Dezember 2004
Australisches Interview 2004 oder 2005

Weitere Infos zu John Taylor Gatto finden sie auf seiner Homepage und auf diversen weiteren Seiten im Netz.

© Martin Näf 2006