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Lieber Gilles - 29. Januar 2013

Ja. Die Sache mit den Zäunen und Mauern um das alte Europa ... Sich zu schützen ist ja okay, aber wenn das sich schützen zur Fobie wird ...!

Was die Spezialkompetenzen von Moussa angeht, so kann ich da einiges bieten. Vor zwei Wochen ist unser Esel Ashimi wieder einmal weggelaufen. Er tut das öfter, wenn er keine Lust mehr zum arbeiten hat. Moussa findet das ganz verständlich, und er weiss mittlerweile, wo er den streikenden Esel wieder findet. Doch diesmal war Ashimi an keinem seiner üblichen Orte aufzufinden. Moussa war etwas genervt. Gleichzeitig liebt er seinen Esel. "Das alte Schlitzohr! Ich muss ihn offenbar richtig suchen." Moussa ist zwei Stunden weg. Dann kommt er mit dem Esel zurück. Er ist Schritt für Schritt seiner Spur gefolgt: über ein paar Felder in den Busch, dort ordentlich im Kreis herum, dann durch ein paar Quartiere zum kleinen Markt, über die Hauptstrasse, an der Wasserpumpe vorbei, wieder über die Strasse bis hinunter zur Krankenstation, wo er ihn schliesslich unter einem schattigen Baum stehen sah ... Dabei ist der Boden hier hart und steinig und es gibt unendlich viel kreuz und quergeende Eselspuren. "O doch, ich kenne die Füsse von Ashimi. Ich kenne auch die Füsse all meiner Ziegen und Schafe. Ich erkenne die Spuren auch wenn sie mitten in einer fremden Herde sind." Ob man diese Kompetenz in der Schweiz braucht? Oder dann diese:

Wir liegen vor neugierigen Blicken geschützt hintter der Mauer unseres zukünftigen Gartens, und geniessen die Gunst der Stunde. Das Tor ist zwar noch nicht eingesetzt, doch die Mauern sind hoch und das Grundstück etwas abseits. Wir liegen da, reden und schmusen ein wenig, was wir sonst am Tag hier nie tun. Plötzlich sagt Moussa, "Achtung, Tanti kommt". Tanti ist keine Tante, sondern die älteste Tochter der grossen Schwester, die vor einem Monat mit ihrem drei Kindern aus Mali gekommen ist. Nach einer Weile höre ich draussen Schritte, dann steht sie in der Toreinfahrt. Sie bringt uns Essen. Als ich Moussa später frage, weshalb er gemerkt habe, dass Tanti komme, sagte er, "ich habe sie gerochen." "Gerochen?!" "ja, gerochen, mit meiner Nase. Ich könnte das auch im Busch. Wenn ich da irgendwo bin, dann rieche ich, ob da vorhin wer durchgelaufen ist und ob es ein Mann oder eine Frau war. Männer und Frauen riechen verschieden, und Tantis Geruch, na den kenne ich eben. Natürlich, wennn der Wind aus der verkehrten Richtung kommt, dann geht es nicht, aber so wie eben ...". Ich war hin und weg! So einen richtigen Indianer als Lover und Geliebten, einer, der Spuren lesen und Menschen aus hundert Meter Entfernung riechen kann! Wenn das nichts ist! Und im Sortiment sind noch andere Talente, zB das Bannen von Geistern! Hiezu braucht's allerdings die Hilfe des Marabous. Dieser schreibt mit Zaubersaft und Wirkekraft die heiligen Worte auf die Stäbchen und Papierchen, die Moussa dann zum Schutz vor Dieben und bösen Geistern rund um sein Haus und den Hof vergräbt. Dabei betet er. Verse aus dem Koran.

In solchen Momenten wirkt Moussa so unglaublich naiv, dass es schon fast weh tut. Bei der mitternächtlichen Sicherung des Gartengrundstücks war ich mit dabei. Ich habe ja nichts dagegen, dass man solchen Hokuspokus treibt, wenn's einem Spass macht, aber dass Moussa tatsächlich daran glaubt, dass diese Zauberkünste helfen, das geht über meinen Verstand. Und er glaubt es tatsächlich, denn als wir kürzlich wieder vom Reisen und Unterwegssein sprachen, und ich auf Aisha zu sprechen kam, die dann ja allein hier im Haus sei, allein oder allenfalls mit Oumou, der zweiten Schwester Moussas die zur Zeit hier mitwohnt, da sagte er, "o, darüber mache er sicch überhaupt keine sorgen. Aisha sei hier sicher, denn der Hof sei ja nicht leer." Ich frage, "du meinst dieses Puff Puff Zeug", und er bestätigt lachend, ja dieses Puff Puff Zeug. Er weiss, dass es für mich Puff Puff ist. Er hat es selbst so genannt und gesagt, dass ich wohl nicht daran glaube. Doch für ihn ist es besser als jede Alarmanlage!

Ob man diese Spezialkompetenzen auf dem Schweizer markt braucht? Ob er eine Chance als Sicherheitsberater von Securitas hat? Oder eher als Gehilfe des Alpöis, Oder vielleicht als Spürnase im Dezernat Mord und Totschlag der Basler Kantonspolizei? Überleg doch mal, wo du ihn unterbringen kannst. Inzwischen versuche ich hier die Sonderfall-Tour "blinder Reisender" und so, mit einem zarten Hinweis auf meine mediale Präsenz ... :-)

Ich tue mutig, doch innerlich bin ich traurig. Wenn man sich Gastfreundschaft auf diese Weise erschleichen und herbeireden muss, dann stimmt da doch etwas gannz wichtiges nicht mehr! Dann leben wir doch in einer beschissenen Abwehrhaltung wie damals die Schweiz im zweiten Weltkrieg. Nachher wird man sich wieder an den Haaren reissen und auf die Brüste schlagen und sagen: wir haben ja gar nicht gewusst, dass die dort draussen an Malaria krepieren und an verseuchtem Wasser! Wir haben ja gar nichts von den dreckigen Geschäften mit den teuren Rohstoffen und davon gewusst, wie stink reich wir selber u.a. genau deswegen sind. O ihr armen, harmlosen Nicht-Wisser! Und hier stehe ich, auf der anderen Seite der Mauer ...

Das Thema reizt meine zynisch kabaretistische Ader, und tatsächlich wär jetzt, wo meine Existenz wieder einmal so schamlos auseinanderfällt und alle Wege versperrt scheinen, vielleicht der Moment, mich endlich meiner Urliebe hinzugeben und mich als Kabaretist vors Volk zu schmeissen. Da hätte dann all der Schwachsinn, in dem wir so gemütlich daherleben Platz, und Akkordeon spielen könnt' ich auch und wie ein Schwein grunzen oder nackt über die Bühne rollen, wenn die Kunst es von mir fordert! Den ganzen Erkenntnisschrott, der sich seitt anno long time ago in mir angesammelt hat, könnt' ich so als neuen Rohstoff verkaufen ...

Tatsächlich denk ich hier öfter darüber nach, wie's mit mir eigentlich weitergehen kann oder soll. Mein Entwicklungshelferenthusiasmus ist etwas abgeflaut. Ich schau mich hier in der Gegend zwar um, ob's irgend ein Projekt oder Programm gibt, in dem ich mitarbeiten könnte und möchte, doch es geht mir mit der Entwicklungszusammenarbeit so, wie es mir mit der Schule ging. Die Sache erscheint mir immer mehr wie eine Art menschlich psychologischer Abschleppdienst und daran bin ich nicht interessiert, denn weshalb sollte ich irgend jemanden irgendwohin schleppen? Dieses ganze Ermutigen und Chüderlen und Gluschtig machen ist doch ein grosser Murx, wo wir selber nicht wissen, wo die Reise hingehen soll ...

Es braut sich was zusammen. Man weiss nur noch nicht was. Die nächsten Schritte führen in Richtung Clo! Das spür ich deutlich. Deshalb schnell good bye und weg mit diesem Mail!

Big hug und härzligi Grüess an alli!

Martin


Copy 2013, Martin Näf